Neunter Bericht
Agrarprojekt Tinamu
Die Sache mit der Chili, der Sinn des Lebens und eine unglaublich herzliche Familie … und damit willkommen zurück in der realen Welt!Nach einem Monat, wo selbst meine Familie nicht so viel von mir gehört hat, denn Internet und Strom zum Handy laden, war echt Mangelware, sitze ich jetzt in einem sehr netten Hostel in Puerto Viejo (wo ich mich anfangs übrigens gewundert habe, dass man ja normalerweise auch im Bad Licht hat 😉) und blicke jetzt zurück auf das letzte Projekt, bevor morgen mein neues Projekt
beginnt. Also kurz um die aufgeregten Gedanken der Familie zu stillen: Mir geht’s super und auch wenn ihr von mir nicht so viel gehört habt, ich habe den Monat unglaublich genossen!
So, erstmal grob vorweg: ich war einen Monat mitten in den Bergen in einem kleinen Dorf dort auf einer „Ranch“ die man wohl am ehesten mit einer sehr einfachen österreichischen Alm vergleichen kann (wo es aber eben zum Beispiel kein Licht im Bad gibt und Strom eben auch nur sehr wenig aus einem Generator und einer kleinen Solaranlage gewonnen wird). Die Alm wird von einer Familie mit 6 Kindern geführt, wo aber nur noch die 2 jüngsten Jungs mit 22 und 14 Jahren dort leben. Der Vater ist außerdem „Dorfoberhaupt“ und hat dadurch auch immer noch viel im Dorf zu tun. Der größere Sohn Henry führt damit mit seiner Mutter hauptächlich die Alm. Mit einer ganz lieben costa-ricanischen Art empfangen sie regelmäßig Wandergruppen aus aller Welt (hauptsächlich Europa und ganz Amerika), bauen die Alm nebenbei weiter aus und wenn es sonst nichts zu tun gibt, wird auch noch dem Vater unter die Arme gegriffen und im Dorf geholfen. Wir
als Freiwillige haben überall angepackt, wo Hilfe gebraucht wurde.Einmal haben wir vom Boden aus geholfen das Dach der Kirche neu zu decken oder die Schule wurde über die Ferien grundgereinigt und Pläne für eine Schulbibliothek wurden entworfen oder auf der Alm haben wir im eigenen Gewächshaus gearbeitet oder am ersten behindertengerechten Haus der Alm weitergebaut. Ich muss aber sagen, ich habe meistens in der Küche geholfen die ganzen Wandergruppen mit Essen zu versorgen, natürlich stand aber dann auch der Hausputz oder das herrichten der Gästezimmer an. Trotzdem fand ich das eigentlich eine schöne Arbeit, da ich dadurch fast noch enger mit der Familie zusammen war, es beim Schnippeln in der Küche immer gute Musik lief und Daniel, der kleinste Sohn, und ich irgendwann durch unsere gute Laune selbst die Mutter zum Tanzen am Küchenherd bekommen haben! Außerdem kann ich mittlerweile Tortillas, Empanadas, Brot auf costa-ricanische Art, Patacones und natürlich Gallo Pinto aus dem FF kochen! So, nachdem morgens alles saubergemacht wurde, das Mittagessen vorbereitet war und die anderen (oder an einigen Tagen ja wir alle zusammen) von der Gartenarbeit zurückkamen, gingen alle auf allerschnellstem Wege die 400 m zum hauseigenem Wasserfall. Da wir anfangs mit Sandsäcken das Wasserfallbecken aufgestockt hatten, war später das Becken so tief, dass wir nochmal die letzten 50 Meter abkürzen und von oben in den Wasserfall hereinspringen konnten … ging halt einfach schneller 😉!
Nachmittags war dann meist Entspannung und Kartenspielen angesagt, bevor ich dann abends wieder beim Abendessen geholfen habe. Tia, ungefähr so sah im letzten Monat mein Alltag aus, aber was man wirklich dazu sagen muss: Es war nicht ein Freiwilligenprojekt, wo wir eher als Arbeitende betrachtet wurden sondern die wollten uns wirklich auch ein bisschen zeigen, wie sie so leben, so haben wir zum Beispiel ein paar Mal zusammen den Kakao geröstet und später gemahlen, den es immer Morgens und Mittags als heiße Schokolade gab (natürlich auch immer mit Kaffee, der ja nie fehlen durfte!!) oder wir haben zusammen die Kühe gemolken oder Zucker aus Zuckerrohr gewonnen.
So, aber jetzt fragt ihr euch vielleicht, was es mit der Aufzählung vom Anfang zu tun hat. Fangen wir der Reihe nach mit der Chili-Geschichte an. Erstmal vorneweg: ich bin ja mit mehreren Schülern aus dem CAS-Schulprogramm angekommen, die eine Woche in ihren Ferien auch ein Freiwilligenprojekt machen wollten. Christian und Jakob, 2 andere Freiwillige aus dem CAS-Freiwilligenprogramm (also auch Ü-18) waren schon eine halbe Woche vorher da und nach meiner ersten Woche reiste die große Gruppe ab und 2 neue Schüler kamen für 2 Wochen an. Meine letzte Woche habe ich dann dort noch als einzige Freiwillige verbracht. So und wieso mussten wir das jetzt wissen? Weil jedes Mal, wenn neue Freiwillige ankamen, wurde im Gewächshaus gearbeitet und der Chilitrick heraus geholt … und fast immer (die dummen Deutschen haben ja auch keine Ahnung von den verschiedenen Chiliarten) hat er geklappt. Denn die Ticos haben uns mit ihrer ganz lieben einladenden Art erzählt, wie lecker doch diese Chiliart sei, die sie selbst anbauen, ob wir die nicht einmal probieren wollen, die sei auch nicht scharf! Während meistens alle immer mehr freudig als misstrauisch zugriffen, haben die, die den Trick kannten, sich einen Keks gefreut 😊! (Die liebe Mutter hatte in der Küche dann manchmal schon Milch und Brot zur Verfügung gestellt, denn die Chili war natürlich alles andere als süß!!) Dennoch habe ich mit dem älteren Tico, Henry, einen „Trick“ herausgefunden, wie man die Chilis essen kann ohne gleich halb zu sterben 😉. So, ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie verärgert waren oder einfach, weil sie mich ganz doll liebhaben, wurde mir von dem lieben Christian und Jakob Chili in mein Abendessen gemischt. Das heißt, ich wusste das natürlich nicht und habe mich gewundert, warum mein Salat und die Bohnen so scharf waren und die Jungs haben mir eingeredet, dass die Sauce, die ich darübergemacht hatte, vielleicht schärfer als sonst war oder ich Geschmacksverirrungen hätte. Als mein Limonensaft dann auch noch nach Chili schmeckte, dachte ich, dass das doch jetzt wirklich nicht sein kann und hatte Sorge, dass ich vielleicht vorher das Geschirr nicht richtig abgewaschen hatte. Die Jungs redeten mir natürlich wieder ein, ich hätte Geschmacksverirrungen und irgendwie hatten sie auch sehr gut es geschafft, hinter meinem Rücken allen anderen Bescheid zu geben. Als es dann noch zum Nachtisch den Kuchen vom Vortag, von Henrys Geburtstag, gab und der auf einmal auch scharf schmeckte, dachte ich langsam wirklich ich hätte Geschmacksverirrungen. Das einzige, was mich zwischendurch auf zweifeln ließ, war, dass die Jungs besonders hilfsbereit an diesem Abend waren und mir häufig Sachen abgenommen hatten. Tia dieses Spielchen hatten sie dann noch den ganzen Tag weitergespielt, bis sie mich Naivchen am nächsten Tag aufgeklärt hatten, dass sie noch extra frisch Chili ernten waren! Tia das hat man davon, wenn man so leichtgläubig ist, aber Jungs ich muss euch ja auch mal sagen, ihr habt das echt mega gut verkauft! 😉 (Und ich bin ja auch Jemand der über so etwas lachen kann 😉)
So Punkt Nummer 2: der Sinn des Lebens. Dadurch, dass man dort kein Internet hatte, konnte man echt mal gut abschalten, in der ganz eigenen Welt leben und über ganz andere Dinge nachdenken. Da passte mir das Buch, welches mir Christian geliehen hatte (Das Café am Rande der Welt) ganz gut. Das ist ein total dünnes und einfach geschriebenes Buch und ließt sich deswegen schnell weg. Jedoch regt es trotzdem zum Denken an. Meiner Meinung nach weiß ich schon mehr oder weniger was mein Sinn des Lebens ist, jedoch hat mich das Buch noch mal daran erinnert, dass man (fast) alles was man tut, auch mit Leidenschaft tun soll und mehr auf sich hören soll, was man wirklich machen möchte um damit fröhlich und glücklich zu sein. Jetzt gerade vor meiner Berufs- oder Studienfachwahl, hat mich das nochmal zum Denken angeregt. Außerdem habe ich mich an ein Gespräch mit Christian und Jakob und einige Kulturunterschiede, die mir aufgefallen sind, erinnert und wir haben festgestellt, dass wir in Deutschland schon erzogen werden, „komplexer“ zu denken, den Sinn hinter Sachen, die wir tun zu verstehen und nicht einfach alle Sachen so anzunehmen, wie sie sind. Daraufhin hatten wir uns gefragt, ob uns das sagen soll, dass wir schlauer sind? Aber uns allen ist aufgefallen, dass die breite Masse der Ticos deutlich glücklicher ist als wir in Deutschland. Leben wir denn dann überhaupt richtig? Heißt das etwa; Bildung macht unglücklich? Das glaube ich nicht, nur leider denken meiner Meinung nach viele Deutsche zu lange über ihre „Probleme“ nach und philosophieren herum, wie sie diese vielleicht lösen könnten. Die Ticos nehmen eher mal kleinere Probleme hin und schauen drüber hinweg und leben im Jetzt und sind dadurch meiner Meinung nach glücklich. Natürlich weiß ich, dass es nicht gut ist alle Probleme auszublenden und das wissen hier auch die meisten, aber ich glaube wir sollten einfach ein bisschen mehr im Jetzt leben und den aktuellen Moment genießen und nicht schon wieder an die Zukunft denken. So, jetzt aber Schluss mit dem philosophischen Geschnacke, ich erinnere mich schon selbst an meinen einen Opa!
Punkt Nummer 3: eine unglaublich herzliche Familie! Ein bisschen habe ich das ja schon vorher erwähnt und besonders spüren durfte ich das noch mal in meiner letzten Woche, wo ich alleine war. Ich wurde aufgenommen als wäre ich ein Familienmitglied. Ich glaube, die Mutter war froh, etwas Hilfe zuhaben (obwohl sonst häufig ihr auch eine Bekannte aus dem Dorf unter die Arme greift) und wollte mir aber auch immer alles zeigen und dann hieß es immer „guck hier“ und „guck da“ und mit so einer lieben willkommenen Art, dass man sie eigentlich nur liebhaben konnte. Von dem Vater habe ich einen eigenen Spitznamen bekommen und die beiden Jungs waren sowieso einmalig. Haben mich überall immer mit einbezogen, ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, dass sie mal Zeit für sich haben wollten und bei Gästen, die vorbeikamen, wurde ich als etwas zu groß geratene Tica oder das 7. Kind der Familie vorgestellt. 😊 Allgemein, das war so eine liebe Familie, die wohl nicht am meisten Geld hatte, aber trotzdem überhaupt nicht kleinkrümelig lebte und immer sorgte, dass auch alle viel und leckeres auf dem Teller hatten und wo dann auch mal das Dulce de Leche Glas (welches der Vater zuvor gekauft hatte) noch am gleichen Abend aus dem Schrank geklaut wurde, als die Eltern schlafen gingen und wir 3 uns mit 3 Löffeln und der karamellartigen Creme vor den Fernseher setzten und einen Film angeguckt hatten. Das war so … (hier entstand beim Bericht schreiben erstmal eine Pause, da ich mir auch ein Dulce de Leche Glas danach gekauft hatte und das jetzt gerade vor „Heimweh“ schnell öffnen musste 😉) Also ihr merkt, mir gings dort echt gut! Ansonsten waren wir 3 häufig abends draußen und haben Frösche, Kröten und alles andere Mögliche bis hin zu handgroßen Spinnen und schlafenden Vögeln gefunden. In Costa Rica gibt es ja auch so eine Artenvielfalt von allem: Vögel bis Frösche. Vielleicht weil es davon so unglaublich viele verschiedene Arten in der Nähe gibt, waren die beiden Jungs auch so Froschbegeistert und konnten jeden Frosch und Kröte unterscheiden. Also ich habe bis zum Ende meiner Zeit die 3 dort bedeutendsten Froscharten gelernt und kann diese auch erkennen, der Rest sind für mich Frösche oder Kröten. Einmal ist das die Agalychnis Callidryas, die Duellmanohyla Rufioculis und der im Volksmund Stierfrosch, der die größte Art ist und sogar halbe Hühner verschlingen kann. So, nachdem ihr die Namen gehört habt, könnt ihr euch vielleicht vorstellen, dass das nicht so super leicht ist, Frösche zu unterscheiden und vor allem noch schwerer ist, es die zu erkennen! Da muss man echt ein Auge für haben, die kleinen Frösche zwischen den 1000 Blättern zu erkennen! Aber ich muss schon sagen, wenn man sich die Zeit nimmt und die wirklich in Ruhe anguckt, sind das schon beeindruckende Tiere!
Henry und Daniel (die beiden Söhne) und ich
(Links)
Ansonsten haben wir zusammen Tiere versorgt, Kühe herumgetrieben (wie man sich das von einer Alm vorstellt) oder auch uns um das neue Kalb gekümmert, welches eine Nacht geboren ist und wir direkt am nächsten Morgen besuchen waren und übrigens Lola getauft hatten. Oder ich hatte Lasso schwingen gelernt oder wir hatten uns einfach in Ruhe unterhalten und dabei den Tag genossen. Als die mir einige Sachen erzählt hatten, musste ich echt zwischendurch schlucken und dachte mir nur, wie gut und einfach wir das in Deutschland haben. Als wir uns einen Abend hingesetzt hatten um die Sterne zu beobachten, hatte mir Henry auf mein Nachfragen erzählt, dass er häufiger manchmal Rückenschmerzen hätte. Auf weiteres Nachfragen von mir,erzählte er mir, dass er nachdem er die Schule in der 6. Klasse beendet hatte (eine Oberschule gab es in dem Dorf nicht, aber das beklagten sie gar nicht, eher waren sie sehr dankbar, dass sie eine Grundschule hatten), seinem Vater mit seinem größere Bruder zusammen geholfen hatte, die ganzen Baumstämme per Hand (also auf den Schultern) aus dem Wald zu tragen um die Ranch aufzubauen. Davon hat er immer noch und wohl auch bleibende Folgen. Eine Oberschulmöglichkeit gab es für ihn damals gar nicht, da die nächste Oberschule 2 Stunden mit dem Auto entfernt ist. A) ging es nicht, weil er keinen dort hatte, bei dem er hätte wohnen können und b) konnte sein Vater auch damals noch kein Auto fahren, um ihn vielleicht fahren hätte zu können. Trotzdem hat er es irgendwann als er alt genug war, geschafft eine Ausbildung in einer Gastronomie anzufangen und auch abzuschließen. Dadurch hat er sich so viel Geld verdient, um sich erst nur ein Motorrad und später auch Autos zu kaufen. Mittlerweile hat er, ich glaube, ein Motorrad und 3 Autos und hat dem Vater vor 2 Jahren Fahren beigebracht, damit auch er den Führerschein nachholen konnte. Er selbst leitet mittlerweile hauptsächlich die Ranch mit seiner Mutter zusammen, da der Vater hauptsächlich fürs Dorf arbeitet, und hat Träume, wie er die Ranch weiter ausbaut und knüpft immer mehr Kontakte im Tourismus, um noch mehr Wandergruppen herzuführen. Wenn ich das mal so leise verraten darf, übt er fleißig an unserem eigenen Wasserfall um in naher Zukunft auch Abenteuertouren mit Kletterfrequenzen an Wasserfällen oder steilen Wänden, die er jetzt schon mit absichert, anzubieten. Ach, ich hatte noch vergessen zu erwähnen, er hatte in der Schule ein halbes Jahr Englisch in denen er Nummern, Uhrzeit und „Smalltalk“ lernte. Gut, in der Vergangenheit kann er immer noch nicht sehr gut sprechen, es aber verstehen, spricht ansonsten eigentlich fließend Englisch und hat sich alles selbst beigebracht. Französisch versteht er auch mehr oder weniger und kann es brockenhaft sprechen. Nun entstand der Plan Deutsch zu lernen, also mit uns haben die Jungs schon angefangen, da lernten sie aber auch einige … schmutzigere Sachen 😉 mal gucken, wie sich das entwickelt. 😊
Nachdem ich das alles so nach und nach erfahren habe, fand ich das schon echt irgendwie unglaublich… Ich finde solche Geschichten so faszinierend, wie Menschen den Mut haben und mit so gutem Wille nach und nach alles erreichen könnten!
So, aber bevor ich hier weiter herumschwärme, muss ich schnell mal das Dulce de Leche Glas in den Kühlschrank packen um nicht gleich wieder alles zu zunehmen, was ich durch meinen täglichen Frühsport in den Bergen abgenommen hatte! 😉 Übrigens als ich eine Nacht in meiner Gastfamilie in San José war, ist meiner Gastmutter auch gleich aufgefallen, ob ich denn dünner geworden sei. Also es ist sehr schön wieder fast die Figur von früher aus Deutschland zu haben, aber man muss sich ja auch mal etwas gönnen, Essen macht schließlig glücklich! 😉 Aber trotzdem stell ich aus Vernunftsgründen, nachdem ich ungefähr ein Viertel ausgelöffelt hatte, das Glas weg und beende damit auch meinen Bericht! Ich hoffe, es geht euch gut und ihr erfriert in dem kalten Deutschland nicht! Ich grüße euch ganz doll aus der Karibik mit immer noch 22 Grad am Abend bevor nun morgen mein neues Projekt beginnt. Alles Liebe!